von Antonia Winsauer im Namen des ganzen APC-Teams
Zum ersten Mal persönlich begegnet bin ich Ernst an einem Freitagnachmittag im Juni 2019. Er hatte Robert und mich zu sich nach Hause eingeladen, um eine mögliche Vereinsvorstandsübergabe zu besprechen. Wir hatten uns zuvor noch nie gesehen, trotzdem waren wir schon per Du gewesen und fest umarmt worden, bevor wir überhaupt sein Haus betraten. Gemeinsam mit Norbert Wallner aus dem damaligen Vorstand erzählte er uns über Pizzakartons am Esstisch und später bei Kaffee im Garten von Alpine Peace Crossing und von der Vereinsarbeit, für die nun neue Hauptverantwortliche gesucht wurden. Eine Portion jugendlicher Leichtsinn oder Mut unsererseits, Ernsts einnehmende Persönlichkeit, Überzeugungskraft und Vertrauen in uns beide und in den Rest des neuen Vorstands, und vor allem die Überzeugung aller Beteiligter von der Wichtigkeit der Sache sorgten dafür, dass im darauffolgenden Herbst wir als neues junges Vorstandsteam und Ernst als Ehrenpräsident die erste gemeinsame Generalversammlung verließen.
Nach der Generalversammlung im Jahr 2022. V.l.n.r.: Antonia Winsauer, Caroline Huber, Robert Obermair, Bettina Reiter, Matthias Schreckeis, Ernst Löschner, Judith Forthuber, Kay-Michael Dankl und Jakob Gruber
Als damals Einzige in Wien Lebende des neuen Vorstands und „Stellvertreterin seines Nachfolgers Robert Obermair“, wie Ernst die offiziellen Vereinsfunktionen stets betonte, war ich gemeinsam mit ihm bei Terminen, lernte Freund*innen des Vereins und jene Ernsts kennen (die beiden Kategorien überlagerten einander), schüttelte Hände bei Botschaftsempfängen, begleitete ihn sogar einmal in seine Loge im Wiener Konzerthaus und konnte hautnah miterleben: Er war mit allen per Du, ob sie wollten oder nicht, und schien das manchmal vielleicht etwas zu schnell persönlich, war dieser Eindruck rasch beseitigt, weil alle gleich bemerkten: Der Naturgewalt Ernst Löschner entkam niemand!
Für Ernst waren Berührungsängste ein Fremdwort, Ernst eilte auf die Menschen zu, umarmte, küsste, lud ein, ohne sich dabei zu kümmern, welche Herkunft oder welche gesellschaftliche Position jemand hatte. Bei Ernst war schnell klar, wofür und für wen er sich einsetzte, worum er kämpfte. Er setzte seine Privilegien, Kontakte und seine ganze Kraft ein, um für die weniger Privilegierten, allen voran Geflüchteten, bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Aber auch, um für die Verfolgten und Ermordeten der Shoah ein angemessenes Gedenken zu erreichen, gemeinsam mit Überlebenden und Nachkommen zu erinnern.
Er organisierte und finanzierte Rechtsberatung, förderte musikalische Talente, unter anderem, indem er in seiner Abwesenheit seinen Hausschlüssel verlieh, damit ein Pianist, der sein Klavier in seinem Heimatland zurücklassen musste, sich mit Ernsts Pianoforte für seine Aufnahmeprüfung in Wien vorbereiten konnte.
Ernst Löschner, Leah und Rami Litani am ersten Dezemberwochenende 2024
Apropos Klavier: Noch wenige Tage vor seinem Tod spielte er unseren Freund*innen Leah und Rami Litani aus Israel bei sich zu Hause am Klavier vor. Nun sehe ich mir das Video an, das Leah mir davon schickte, höre Ernst spielen, und fühle mich unmittelbar zurückversetzt an einen Tag im März 2023, als wir von Alpine Peace Crossing anlässlich der Simon-Wiesenthal-Preis-Verleihung gemeinsam mit anderen Nominierten eine Führung durchs Österreichische Parlament bekamen. Auf den damals heißdiskutierten und mittlerweile entfernten goldenen Bösendorferflügel, den der damalige Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ins Parlament geschafft hatte, hatte sich Ernst wohl besonders gefreut: Kaum hatte uns der Guide in den Raum geführt, in dem der Flügel stand, drückte mir Ernst sein Mobiltelefon in die Hand, sagte „Mach eine Aufnahme!“, bewegte sich auf das Instrument zu, umging die Absperrung, setzte sich auf den Klavierschemel und begann zu spielen. Niemand konnte es fassen, aber keiner stoppte ihn. Alle hörten zu.
Ernst am Bösendorferflügel im Österreichischen Parlament
Ernst hatte keine Scheu, für seine Überzeugungen anzuecken, regte an, getroffene Abmachungen zu überdenken, wenn er den Eindruck hatte, es könnten noch bessere getroffen werden. Ernst war immer ohne Schutzschild um sich herum unterwegs, hatte keine Angst, über eigene Herausforderungen und Sorgen zu sprechen, ohne dabei sein offenes Ohr zu verschließen. Er schrieb nachts um halb zwei E-Mails, weil die Stunden untertags nicht genügten.
v.l.n.r.: Eva Bammer, Ernst Löschner, Antonia Winsauer, Jakob Gruber, Robert Obermair
Ernst war aber auch jemand, der wusste, Prioritäten richtig zu setzen: So sehr er sich auch für Soziales engagierte, an erster Stelle war er Familienmensch. Keine Schmerzen, kein ärztliches Verbot und kein sommerlicher Schneefall konnten ihn davon abhalten, mit 80 Jahren die Gedenkwanderung über den Krimmler Tauern nach Südtirol anzutreten und zu absolvieren. Er ließ aber alles stehen und liegen, wenn er wusste, dass ihn seine Familie brauchte – allen voran seine geliebte Frau Valdi.
Im Jiddischen bedeutet der Begriff “mentsch” mehr als nur “Mensch”. “A mentsch” ist integer, tolerant, verantwortungsbewusst, ehren- und vorbildhaft. Und so war Ernst.
Unser „Ehrenernst“ wird uns sehr fehlen.
An dieser Stelle möchte ich noch auf zwei Interviews mit Ernst hinweisen: Kay-Michael Dankl (damaliger Koordinator des wissenschaftlichen Beirats von APC) hat Ernst Löschner für die erste Ausgabe unserer „Alpendistel. Magazin für antifaschistische Gedenkkultur“ interviewt. Das Gespräch (2020) findet man hier: KLICK
Das andere Interview (2022) ist im Rahmen unseres Projekts „Alpendistel on Air“ entstanden und wurde von Hilde Mayer geführt. Die Sendung ist hier nachzuhören: KLICK